Die Geschichte der robotisch-assistierten Chirurgie geht zurück bis auf Konzeptstudien der NASA in den 1970er Jahren, um erkrankte Astronauten mit einem Chirurgen an einer erdgebundenen Konsole und der Hilfe eines robotisch-assistierten Systems im Weltraum operativ versorgen zu können. Vergleichbare Ideen verfolgte auch das US-Militär, das einen solchen Prototyp in ein gepanzertes Fahrzeug einbaute, um den Chirurgen virtuell auf das Schlachtfeld zu bringen.

Seit 1985 standen dann auch in der Realität erste medizinische robotische Systeme für die Entnahme von Gewebeproben oder einfachere Prostataoperationen zur Verfügung. Die heute gebräuchlichen so genannten Master-Slave-Systeme, bei denen Roboterarme die Bewegungen der Hand, des Handgelenks und der Finger des Chirurgen in präzise skalierte Echtzeitbewegungen der chirurgischen Instrumente übertragen, kommen seit Ende der 1990er Jahre zum Einsatz. Weltweit hat sich dabei zu allergrößten Teilen das da Vinci®-System (Intuitive Surgical Inc.) durchgesetzt, mit dem bereits 1997 die erste robotisch-assistierte Gallenblasenentfernung in Brüssel durchgeführt wurde. Seit 2012 ist ein stetiger Anstieg der mit diesem System durchgeführten viszeralchirurgischen Operationen zu verzeichnen, mit deutlich über 400.000 Eingriffen im Jahr 2020 ist die Viszeralchirurgie die Fachdisziplin mit den weltweit meisten Eingriffen. Auch in Deutschland ist diese Technologie mittlerweile mit über 200 installierten Systemen in der klinischen Routine angekommen.

Das System besteht aus einer ausgeklügelten Steuerkonsole für den Chirurgen, einer patientenseitigen Robotikeinheit mit vier Armen und einem Videoturm mit einer hochauflösenden dreidimensionalen Kamera. Die Handbewegungen werden in hochpräzise Bewegungen der Instrumente übertragen, deren Beweglichkeit und Freiheitsgrade traditionellen minimal-invasiven Instrumenten oder der menschlichen Hand deutlich überlegen sind. Der Chirurg kontrolliert jedes Manöver des Systems, welches dabei auch in engen Körperhöhlen als ein extrem effektiv und präzise arbeitender verlängerter Arm agiert.

Trotz der Möglichkeit auch umfangreiche und komplexe Eingriffe bei Krebserkrankungen mit sehr hoher Genauigkeit und onkologischer Radikalität durchzuführen, sind die über kleine Einschnitte an der Bauchdecke durchgeführten Eingriffe für den Patienten weniger belastend. Die Entzündungsreaktion nach einer Operation ist dabei weniger ausgeprägt. Neben einer schnelleren Mobilisation und einem früheren Kostaufbau führt auch ein geringerer Schmerzmittelbedarf nach der Operation zu einem kürzeren Krankenhausaufenthalt. Darüber hinaus resultiert ein besseres kosmetisches Ergebnis und auch im längeren Verlauf kommt es zu einem deutlich geringeren Auftreten von Narbenbrüchen.

Für den Enddarmkrebs und andere Tumorerkrankungen konnten verschiedene internationale Studien im Vergleich zur traditionellen Schlüssellochtechnik eine niedrigere Rate von Wechseln zur offenen Operation, einen geringeren Blutverlust, mehr entfernte Lymphknoten und weniger Komplikationen nachweisen. Dies gilt offensichtlich auch für Patienten mit einer krankhaften Adipositas. Bei robotisch-assistierten Enddarmkrebsoperationen ist die Urinentleerungs- und Sexualfunktion beim Mann statistisch signifikant besser. Auch die robotisch durchgeführte Klammernaht des Darms im Körper des Patienten scheint offensichtlich zu weniger so genannten Nahtundichtigkeiten zu führen.

Die Palette an geeigneten viszeralchirurgischen Eingriffen ist breit und reicht von Dick- und Enddarmkrebs über Eingriffe an Magen und Speiseröhre und die Adipositaschirurgie bis hin zu Tumorerkrankungen der Leber und der Bauchspeicheldrüse. Auch weniger komplexe Eingriffe wie Bauchwandbrüche und Gallenblasenentfernungen sind zum Teil für diese Technik geeignet. Dabei muss auch herausgestellt werden, dass durch diese hochmoderne Technologie Zusatzkosten entstehen, die aktuell noch komplett von den Kliniken getragen werden müssen. Mehrkosten für die Patienten entstehen nicht.

Am Klinikum Wetzlar steht ein solches da Vinci*-System seit Oktober 2020 zur Verfügung und wird seitdem von der Klinik für Allgemeine, Viszerale und Onkologische Chirurgie und der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Urologische Onkologie gemeinsam genutzt. In der (onkologischen) Viszeralchirurgie wurden seitdem mehr als 200 Eingriffe durchgeführt. Davon betrafen allein ca. 80 Eingriffe den Bereich Dick- und Enddarmkrebs, für den die Klinik mit dem Mittelhessischen Darmzentrum als Kompetenzzentrum der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert ist. Im April 2022 feiert das Zentrum sein 15-jähriges Bestehen als eines der bundesweit ersten zertifizierten Zentren. Auch für die Bereiche der bariatrischen Adipositaschirurgie mit Schlauchmagenbildung und Magenbypass und die Anlage einer Magenmanschette mit Zwerchfellverschluss bei Zwerchfellbruch und Refluxerkrankung wurden bis heute jeweils ca. 20 Eingriffe mit dem robotischen System durchgeführt. Aber auch für Eingriffe bei Tumoren der Leber, der Speiseröhre, des Magens und der Nebenniere konnte die robotisch-assistierte Technik erfolgreich am Klinikum etabliert werden.

Das da Vinci®-System wird dabei im robotischen Operationssaal des Klinikums in Wetzlar an fünf Tagen der Woche während des kompletten Regelbetriebs eingesetzt, wobei neben der chirurgischen Expertise der Operateure die spezifischen Fachkenntnisse der Narkoseärzte und der OP-Pflege zwingend erforderlich für ein erfolgreiches robotisches Programm sind. Die zeitgemäße Technologie der robotisch-assistierten Operationstechnik stellt dabei eine wertvolle Erweiterung unserer bisherigen Schlüssellochchirurgie dar und baut damit im Bereich der Viszeralchirurgie auf den konsequenten Ausbau der minimal-invasiven OP-Verfahren auf. Ob diese Technik für den jeweiligen Krankheitsfall geeignet ist, prüfen wir gemeinsam mit den Patienten in unseren entsprechenden Spezialsprechstunden.