Herr Jitzkowski, warum sind Sie übergewichtig?
Jens Jitzkowski: Als Kind war ich begeisterter Fußballspieler und normalgewichtig. In der Pubertät habe ich eine Allergie bekommen. Durch die große Cortisondosis über Jahre bin ich leider sehr in die Breite gegangen. Den letzten Schub hat es dann während des Studiums gegeben. Durch das viele Sitzen habe ich noch einmal 30 oder 40 Kilo zugenommen. Vor zwei Jahren war das Gewicht von 240 Kilo erreicht, da war ich 37 Jahre alt.

Was hat Sie dazu bewegt, abnehmen zu wollen?
Jens Jitzkowski: Ich war zwar noch relativ beweglich, aber nach drei Minuten ging mir die Puste aus. Ich habe in kein Auto mehr gepasst, Kleidung nur noch online bestellt, da mir im Geschäft nichts mehr gepasst hat. Ich hatte Diabetes und habe Insulin gespritzt. Außerdem hatte ich Knieprobleme und Gelenkschmerzen. Hinzu kam, dass es meinen Eltern gesundheitlich schlechter ging und ich mich mit meinem Übergewicht nicht richtig um sie kümmern konnte. Da war der Punkt erreicht. Das erste Mal mit dem Thema in Verbindung geraten bin ich durch eine Exfreundin, die selbst übergewichtig war und sich operieren lassen wollte. Ich habe sie bei den Vorbereitungsuntersuchungen begleitet und gedacht, das könnte man bei dir doch auch probieren. Ich wusste: So viel Gewicht alleine abnehmen, das funktioniert nicht. Ich hatte vieles versucht, bei dem Gewicht funktioniert aber keine normale Diät, da der Körper an riesige Portionen gewöhnt ist. Wenn ich gestern 15 Brötchen gegessen habe und heute soll ich nur noch drei essen, dann funktioniert das nicht.

Mit welchem Gefühl sind Sie in die Klinik gegangen?
Jens Jitzkowski: Ich hatte mich sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt und war gut vorbereitet. Dr. Friedrich-Hoster und ich haben sehr gut zusammengearbeitet. Die Voruntersuchungen waren innerhalb von zwei Wochen erledigt. Ich war sehr positiv gestimmt und habe mich auf die OP gefreut. Schlimmer als mein gesundheitlicher Zustand hätte es ja nicht werden können.

„Der Aufenthalt im Klinikum Wetzlar war eine tolle Erfahrung. Ich habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt.“

Jens Jitzkowski, Adipositas-Patient

Dr. Friedrich-Hoster teilt sich eine alte Hose mit seinem Patienten. Der Arzt steht in einem Hosenbein, der Patient im anderen.
Ein Jahr nach der OP: Jens Jitzkowski in seiner alten Hose - gemeinsam mit Dr. Thomas Friedrich-Hoster.

Wie läuft die Operation ab?
Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Im ersten Schritt wird ein sogenannter Sleeve-Magen gebildet, das ist extrem effektiv. Der Magen wird dabei zu 80 Prozent entfernt. Der Teil, der übrig bleibt, hat das Volumen einer Banane. In vielen Fällen wird im zweiten Schritt in einer weiteren OP ein Magenbypass angelegt, um das Volumen weiter zu verkleinern.

Welche Voraussetzungen gibt es für die OP?
Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Die Voraussetzungen sind von den Krankenkassen vorgegeben. Der Patient muss stark übergewichtig sein, d.h. er hat einen BMI von über 40. Weitere Indikationen sind Begleiterkrankungen wie etwa Kniegelenksarthrose oder Diabetes und bereits gescheiterte Therapieversuche.

Gab es im Zusammenhang mit der Operation Schwierigkeiten?
Jens Jitzkowski: Ich hatte vor der OP Angst, dass ich nachher verdurste. Ich wusste, dass ich nach der OP nur noch kleine Mengen Flüssigkeit zu mir nehmen kann. Das klingt seltsam, aber die Frage hat mich sehr beschäftigt. Was ist, wenn du Durst hast und nichts trinken kannst? Es ist aber alles sehr gut gelaufen. Der Aufenthalt im Klinikum Wetzlar war eine tolle Erfahrung. Ich habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt.
Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Die meisten Patienten haben Angst. Zum einen vor der OP, zum anderen vor dem, was danach kommt. Der Patient hat Angst, dass er sich nachher selbst fremd ist. Es kommen viele Veränderungen auf ihn zu und das verunsichert ihn.

„Ich habe das Übergewicht viel zu lange mit mir herumgetragen. Es ist absolut fahrlässig, seinem Körper das über Jahre zuzumuten. Je früher man es machen lässt, umso mehr Lebensqualität hat man. Eine Beratung kostet nichts.“

Jens Jitzkowski, Adipositas-Patient

Wie geht es Ihnen heute?
Jens Jitzkowski: Im Vergleich zu der Zeit vor zwei Jahren super. Ich hatte mich halbiert und 120 Kilo abgenommen, jetzt sind wieder 20 Kilo drauf. Ich wiege jetzt 140 Kilo, aber kann damit gut leben. Klar ärgert mich das eine oder andere Kilo. Nach der OP bin ich dreimal wöchentlich ins Fitnessstudio gegangen. Leider schaffe ich das momentan zeitlich nicht, da beruflich und privat einige Belastungen hinzugekommen sind.

Die Bewegung ist ja ein wichtiger Faktor beim Abnehmen, ein anderer ist die Ernährung. Was hat sich in diesem Bereich nach der OP für Sie verändert? 
Jens Jitzkowski: Ich habe meine Ernährung drastisch verändert. Nach der Operation gab es einen kompletten Neustart. Anfangs gibt es nur Wasser und Suppe, dann muss man schauen: Was verträgst du, was möchtest du haben, wieviel möchtest du haben? Vorher konnte ich Massen essen, nach der Operation habe ich mit Babybrei angefangen. Kohlenhydrate habe ich anfangs gar nicht vertragen. Ich habe viele Eiweißshakes getrunken, das hat super funktioniert und wirkt auch dem Muskelabbau entgegen. Im ersten Jahr habe ich 100 Kilo abgenommen.

Ist dies aus medizinischer Sicht ein typischer Verlauf?
Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Der Verlauf ist ganz klassisch. Typisch ist auch, dass etwa 10 Prozent des abgenommenen Gewichts nachher wieder zugenommen wird. Bei manchen Patienten ist es noch deutlich mehr.

Wenn ich nach der OP wieder so esse wie vorher, dann kann der Magen auch wieder so groß werden wie vorher?
Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Ja, das kann man so sagen. Das Volumen des Magens wird zu einem großen Teil über den Appetit und die Essensmenge bestimmt. Außerdem wird der Appetit bestimmt durch Bakterienbefall oder -besatz im Darm. Wenn sich diese Faktoren zurückentwickeln in die Richtung des Zustands vor der OP, kommt die Lust auf bestimmte Nahrungsmittel zurück: die Lust auf Süßes, Kohlenhydrate oder Fett. Süßes ist am gefährlichsten, denn Sie können selbst nach einer Magenverkleinerung durch süße Getränke an einem Tag locker so viele Kalorien aufnehmen wie durch drei große Mahlzeiten.

Jens Jitzkowski: Früher gab es richtige Cola-Festivals bei mir zu Hause. Eine halbe Kiste Cola ist da locker bei einem Fernsehabend über den Tisch gegangen. Alkohol kam auch fast jedes Wochenende dazu. Wenn man 240 Kilo wiegt, verträgt man sehr viel. An manchen Abenden habe ich eine Flasche Whisky getrunken und bin danach noch auf eine Party gegangen. Ich bin heilfroh, dass ich davon weg bin.

Wie ernähren Sie sich heute?
Jens Jitzkowski: Einen genauen Ernährungsplan für jeden Tag hatte ich im ersten halben Jahr nach der OP. Meine Mahlzeiten habe ich mit Hilfe von Tabellen und Apps detailliert geplant und getrackt. Ich achte darauf, viel Eiweiß und wenig Kohlenhydrate zu essen. Viel Fleisch, Geflügel, Eier, Fisch. Außerdem nehme ich Vitamine und Mineralstoffe als Nahrungsergänzungsmittel ein. Cola trinke ich gar nicht mehr.

Sind Sie mit dem aktuellen Gewicht von 140 Kilo zufrieden oder möchten Sie noch weiter abnehmen? 
Jens Jitzkowski: Die Frage ist knifflig, weil ich ja überhaupt nicht weiß, wie es mit weniger Gewicht ist. Ich weiß nur, was ich an Bewegungsfreiheit hinzugewonnen habe, was ich an Möglichkeiten habe, die ich vorher nicht mehr hatte. Autofahren zum Beispiel, ich passe jetzt in andere Autos hinein. Und mein Diabetes ist weg.

Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Sie passen jetzt auf den Stuhl.

Jens Jitzkowski: Ja genau, wie oft habe ich mir vorher Stühle im Restaurant angeguckt und habe dann entschieden, ob ich da essen gehe oder nicht. Diese Standard-Plastikgartenstühle, das war mein Horror. Ich glaube, davon habe ich schon zehn Stück auf dem Gewissen. Eine Hose in einem normalen Geschäft kaufen, einem Freund beim Renovieren helfen, auf ein Konzert gehen – das ging vorher nicht. Ich war kein Stubenhocker, hatte viele Freunde und Hobbys. Aber ich konnte nicht alles mitmachen. Wenn meine Freunde wandern gegangen sind, habe ich mich um die Verpflegungsstation gekümmert. Ich bin zufrieden mit dem, was ich erreicht habe. Alles andere muss man sehen. Wenn ich mehr Freizeit habe, kann ich auch wieder mehr Sport treiben.

Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Das Übergewicht ist ja noch da. Als Adipositaschirurg sagt man: Wir machen aus einem extrem adipösen Patienten einen moderat adipösen. Von einem BMI von 60 auf einen BMI zwischen 25 und 30, also leichtes Übergewicht, zu kommen, ist nahezu unmöglich. Adipositas ist eine chronische Erkrankung und man trägt sie das ganze Leben mit sich.

Wie haben Sie sich durch die Gewichtsabnahme verändert?
Jens Jitzkowski: Insgesamt hat sich meine Persönlichkeit nicht sehr verändert. Ich war schon immer ein robuster, stark auftretender Mensch und habe meinen Bauch nie versteckt. Ich habe aber noch mehr Selbstbewusstsein bekommen und lasse mir nicht mehr so viel gefallen.

Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Für Frauen ist es besonders schwer, wenn sie sich durch die Adipositas unattraktiv fühlen. Aber auch für Männer ist das ein Thema. Entscheidend ist aber für beide Geschlechter, mit der Gewichtsabnahme eine große Last loszuwerden, und zwar körperlich und psychisch.

In wie vielen Fällen ist nach der Gewichtsabnahme eine Straffungs-OP notwendig?
Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Das ist für fast alle Patienten ein Thema, viele können sich aber nicht zu einer weiteren OP durchringen.

Jens Jitzkowski: Ich habe eine große Fettschürze am Bauch und kann mir vorstellen, sie irgendwann entfernen zu lassen.

Was würden Sie anderen raten, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben?

Jens Jitzkowski: Nicht zu lange warten. Ich habe das Übergewicht viel zu lange mit mir herumgetragen. Es ist absolut fahrlässig, seinem Körper das über Jahre zuzumuten. Je früher man es machen lässt, umso mehr Lebensqualität hat man. Eine Beratung kostet nichts.

Dr. Thomas Friedrich-Hoster: Als erstes: Akzeptieren Sie, dass Sie an einer Krankheit leiden. Aber: Diese Krankheit ist behandelbar. Und dann gehen Sie mit der Krankheit zum Arzt und fordern Sie eine Behandlung ein.